„Wir wollen zur friedlichen Extase verleiten“

 

Bonaparte stehen für irre Kostüme, wilde Shows und die totale Enthemmung. Im Interview erzählt Chef Tobias Jundt wie man Teil der Chaostruppe wird, wie man sich enthemmt – und wo die Grenzen liegen.

Später Nachmittag, alles ist aufgebaut, der Soundcheck ist fertig, bei Bonaparte herrscht zurückgezogene „Jeder-für-sich“-Stimmung. „Selten, aber wichtig“ nennt Frontmann Tobias Jundt diesen Teil des Tages.

Jundt sitzt mit grellpinken, verwuschelten Haaren und einem leichten Hangover im Backstage-Bereich der Konzerthalle. Er ist sehr nett, redet leise und bedächtig und lässt seine kleine Tochter Ruby, die gerade den Billardtisch entdeckt, nicht aus den Augen.

Bonaparte sind ein Kollektiv aus Musikern, Tänzern und Künstlern. Kaiser und musikalischer Kopf dieses bunten Party-Königreiches ist der Schweizer und Wahl-Berliner Tobias Jundt. Das neue, dritte Album heißt „Sorry, We’re Open“ und versprüht den Charme einer Punkband im elektronischen Zeitalter. Die Medien haben es „Visual Trash Punk“ getauft, Visual weil vor allem die Bonaparte-Bühnenshows legendär sind. Ein wildes Treiben mit Showelementen jeglicher Gattung vom 80er-Jahre-Aerobic-Einspieler bis zum Burlesque-Tanz, Kostümen, die an Surrealismus nicht zu übertreffen sind, präsentiert von extrovertierten Persönlichkeiten, die sich mit Gaffaband strangulieren und gerne auch die Hüllen fallen lassen.

Glitzerpants, Gasmasken, überdimensionale Perücken, Federboas, Roboter-Anzüge, Pferde, Computer- oder riesige Babyköpfe: Die Bonaparte-Kostüme sind so verrückt, dass die Künstler sie meistens selbst machen müssen. Den Diskokugelhelm zum Beispiel: „Mein Bruder und Lulu haben beide unabhängig voneinander einen solchen gebastelt. Das zeigt schon, was in uns brodelt: Sie sind beide, noch bevor sie sich kannten, auf die gleiche Idee gekommen. Aber der von Lulu hat länger gelebt“, erläutert Jundt.

„Das war wie bei der Löwenfütterung“

Wer was auf der Bühne macht oder wie weit er geht, bestimmen die Performer selbst. Dabei werden auch Grenzen überschritten: „In Dortmund hat Lola bei ihrem ersten Auftritt mit uns eine Fünf-Meter-Girlande aus einem Körperteil entfaltet. Der Klub war sehr klein und schwitzig und die Leute sind alle verrückt geworden und haben wie irre gedrückt. Das war wie bei der Löwenfütterung, die wurden zu Tieren. Danach haben wir dann gesagt: ‚Lola, mach doch beim nächsten Mal lieber was anderes.'“

Lola wird auch bei dieser Tour für einen Abend in Madrid dabei sein – Jundt freut sich: „Ich weiß nicht, was sie diesmal woher zaubert, sie hat sich ja bestimmt weiterentwickelt mit ihren Tricks.“ Vom Kollektiv aufgenommen wird, wer zur Truppe passt. Ihr aktueller Opener ist der amerikanische Songwriter Tim Fite; Jundt hat ihn gebucht, ohne ihn einmal live gesehen zu haben. „Wir haben ihn auf der Tour getroffen, wir mochten uns und er war noch nie in Europa. Da hab ich gesagt: ‚Du bist unser nächster Opening Act‘.“ Ein Limit für den Bonaparte-Wanderzirkus gibt es übrigens nicht, es dürfen so viele mit, wie Betten im Bus sind – momentan sind noch zwei frei.

Doch sich auf einer Bühne vor tausenden Menschen zu entblößen, ist nicht jedermanns Sache. Auch Jundt sagt: „Es ist absurd vor 1.200 fremden Menschen etwas so Intimes zu tun.“ Die Energie seiner Musik und der Leute auf und vor der Bühne machen es möglich: „Irgendwie haben wir es geschafft, einen Rahmen zu schaffen, in dem alles egal ist.“ Bei Bonaparte-Shows gehe es darum, sich selbst zu enthemmen: „Wir transportieren ein Gefühl, das zur friedlichen Ektase verleiten soll. An seine Grenze gehen, sich fallen lassen, etwas Schönes und Primitives in sich entdecken und es auf eine friedliche Art ausleben.“

Fotocredit: Oliver Rath

Text: Antonie Hänel

Veröffentlicht über die Nachrichtenagentur spot on news, u.a. bei derwesten.de

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