Real Talk: Schulz und Böhmermann sind zurück!

Der Punk unter den Talkshows geht in die zweite Runde: Während mittlerweile jede Reality-Sendung ein Skript hat, trifft bei „Schulz und Böhmermann“ wirklich Realität auf Bildschirm. Auch wenn es richtig weh tut.

Jan Böhmermann hat gerade seinen dritten Grimme-Preis bekommen. Das reicht noch lange nicht. Der Mann ist seit Charlotte Roche das Interessanteste, was es im deutschen Fernsehen zu sehen gibt. Wer hier nicht sofort zustimmt, hat vermutlich ein Sympathieproblem mit dem „dünnen blassen Jungen“. Spätestens da kommt Olli Schulz ins Spiel – der Einzige, der Böhmis Menschlichkeitsknopf gefunden hat.

In ihrem gemeinsamen Podcast „Fest und Flauschig“, Nachfolger der Radiosendung „Sanft und Sorgfältig“, konnte man über die Jahre mit anhören, wie sich das zarte Band der Freundschaft zwischen ihnen zu einem dicken Seemannsknoten entwickelte. Am Anfang spottete Jan noch über Hörer, die wirklich glaubten, dass die beiden Moderatoren hier „persönlich“ werden würden. Ein Jahr später sagte er selbst, dass er die Zuhörer an den Radioendgeräten regelmäßig nach zehn Minuten vergisst.

Nach Jahren der Annäherung war die Zeit also reif, eine der besten Fernsehideen wiederauferleben zu lassen: „Schulz (ehemals „Roche“) und Böhmermann“, jetzt mit der Kumpelpower von Olli statt der Erfahrung von Roche. Die Sendung ist der Punk und manchmal auch das Dschungelcamp unter den Talkshows, auf jeden Fall die totale Anarchie im Öffentlich-Rechtlichen. Während das „Neo Magazin Royale“ Deutschland im klassischen Late-Night-Korsett mit Satire, Mittelfinger und Rap seine Probleme, Lächerlichkeiten und Irrungen vorführt, geht es bei „Schulz & Böhmermann“ ans Eingemachte: Persönlichkeiten.

Dilettantisch – und stolz drauf

Der Zigarettenrauch und das gelegentliche Whiskey-Gesaufe sind dabei noch das Gewöhnlichste. Es geht darum, was passiert, wenn man mal nicht plant. Wie schön Nora Tschirner schreit, wenn der Stuhl unter ihr zusammenklappt, zum Beispiel. Wie Olli reagiert, wenn er jemanden nicht mag. Oder kritisch nachfragen muss, wenn er jemanden mag. Wie Samuel Koch Böhmermann mehrfach ins moralische Verderben stürzt. Oder wie Annika Decker und Sibylle Berg neben fünf testosteronsprühenden Alpha-Männchen mit ein paar überlegten Sätzen aufzeigen, warum Männer die Welt regieren und Frauen es sollten.

All das ginge natürlich nicht, wenn sich die Moderatoren auch nur halbwegs seriös geben würden. Ihr mit Fleiß vorgetragener Dilettantismus lässt sogar Micaela Schäfer professionell wirken. Schulz wäre vermutlich lieber selbst Gast, damit er noch mehr Geschichten erzählen könnte, statt sich für die anderen Gäste zu interessieren. Böhmi hakt aus privatem Frust schon mal völlig zusammenhangslos zehn Minuten bei Katrin Göring-Eckardt zwecks kirchlichem Arbeitsrechts nach, auch wenn die Antworten keinen interessieren, nicht mal ihn selbst. Das führt auch mal dazu, dass Gangsta-Rapper Kollegah der einzige am Tisch ist, der daran denkt, Fragen zu stellen. Zum Beispiel, was eigentlich das Motiv hinter der psychotischen Hochstaplerei von Gerd Postel war. Inklusive Schlussfolgerung: „Also war es ein Rachefeldzug für den Tod deiner Mutter – find ich cool“.

Sie tun es wirklich

Die Gags mit den Kindergeburtstagen, dem Fisch im Mixer oder den Austausch-Aktionen können sich die Macher in der zweiten Staffel ruhig sparen. Das klaut nur wertvolle Real-Talk-Zeit. Denn tatsächlich ist es so einfach: Wir sind dermaßen übersättigt von all den perfekt durchchoreografierten Showgelagen, übervorsichtigen Gesprächsrunden und überkonzeptionellen Formaten da draußen, dass es mittlerweile ernsthaft interessant ist, wenn spannende Leute an einem Tisch zusammenkommen und in einem Rahmen miteinander reden, der weder sie, noch das Publikum vor irgendwas bewahrt. Da denkt sich der Zuschauer selbst in den langweiligsten Momenten noch: „Krass, die ziehen das wirklich durch.“

Damit ist „Schulz und Böhmermann“ das Fernseh-Pendant zu den Berliner Fuck-Up-Nächten, realer als die Realität und authentischer als jedes Lagerfeuergespräch im Dschungelcamp. Oder wie Böhmermann sagt: „Es kann funktionieren, es kann auch nicht funktionieren. Wie ein echtes Gespräch.“

Die alten und neuen Folgen gibt’s in der Mediathek von ZDF.

Fotocredit: ZDF

Text: Antonie Hänel

 

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